Lord Baden-Powell of Gillwell

 

EINLEITUNGlbp

Was weiss man denn heute, mehr als 50 Jahre nach seinem Tode, von diesem Manne noch, der die Pfadibewegung aus dem Boden gehoben, und die wohl größte Jugendbewegung der Erde geschaffen hat. Genau die Fragen, die BiPi umgeben, sollen folgend beantwortet werden, sicher nicht vollstaendig, aber die nachfolgende Geschichte eines interessanten Mannes gibt Einblicke in das Wirken unseres Gruenders. Ich hoffe das folgende Lektuere manchen Anregen moege, zu versuchen in die eine oder andere Fussstapfe von BiPi zu treten und seinen Wunsch nach einer zwangslosen und froehlichen Jugendbewegung weiter zu tragen. Moege die Idee die BiPi in Bewegung gebracht hat nie zum Stillstand kommen, auch wenn schwere Zeiten uns daran hindern sollte. Stehen wir zusammen und tragen das uns aufgetragene Erbe weiter, auf das wir stolz sein koennen, dieser Erde eine gute Idee gebracht zu haben, und sie weiter zu erhalten.

Allzeit Bereit
Daniel Saxer (Schweiz)

DIE GESCHICHTE

Alte Pfadfinder, die BiPi noch persoenlich kannten, schildern Ihn als einen Mann mit grauen Haaren, guetigen Augen und den markanten, straffen Gesichtszuegen eines Berufsoffiziers alter Schule. Stets wirkte er juenger als er war. Auch vor seinem Tode im Jahre 1941 zeigte er sich noch beweglich und munter, sportlich und geistig rege wie immer in seinem Leben. Er starb im 84.Lebensjahr.

Am 22.Februar war er in London als zwoelftes von vierzehn Kindern des anglikanischen Pfarrers Baden-Powell zur Welt gekommen. Er erhielt die Vornamen Robert Stephenson Smyth. Der Name Smyth sollte an einen beruehmten Vorfahren muetterlicherseits aus dem 17.Jahrhundert erinnern, den legendaeren Seehelden und Abenteurer John Smyth, Captain Ihrer Majestaet der Koenigin von England.

Der Vater starb, als Robert drei Jahre alt war. Von der Mutter erzogen entwickelte er frueh ein Gefuehl fuer Ritterlichkeit und Verantwortungsbewusstsein. Spaeter fuehlte er sich sehr zu seinem Grossvater muetterlicherseits, Admiral W.Smith, hingezogen, einem Kartographen und Astronomen, der in dem Jungen die Lust am Abenteuer und an der Naturbeobachtung weckte. Waehrend der Schulzeit in dem renommierten College von Charterhouse nuetze er jede freie Minute, um einen verwilderten Park zu durchstreifen, Spuren der Tiere zu suchen und sich die „Wissenschaft des Waldes“ anzueignen, wie er es nannte.

Derlei Kenntnisse kamen ihm zugute, als er mit Freunden waehrend den Ferien ausgedehnte Reisen unternahm, zu Fuss oder in einem Boot auf der Themse, ja sogar uebers Meer bis nach Norwegen. Die Jungen kampierten im Freien, orientierten sich nach der Sonne und den Sternen, ernaehrten sich von selbstgefangenen Tieren, die sie am Lagerfeuer grillten und kehrten stets puenktlich, gesund und aufgeladen mit Selbstbewusstsein zum Beginn des naechsten Schuljahres zurueck. Damals schon lernte Baden-Powell durch eigene Erfahrung, dass der Sport des Waldlaeufertums weit mehr war als Indianerspielerei: eine hervorragende Schulung des Charakters und der Persoenlichkeit junger Menschen. Mit einem mehr als mittelmaessigen Abschlusszeugnis des Charterhouse-College sollte er, der Familientradition entsprechend, an der beruehmten Universitaet in Oxford studieren, doch er bewarb sich um einen Ausbildungsplatz als Offizier der britischen Armee und legte das Aufnahmeexamen mit Glanz ab – als zweiter von 717 Prueflingen! Daraufhin wurde er sofort zum Unterleutnant befoerdert. Ausserdem durfte er sich die Waffengattung, in der er dem Koenigreich dienen sollte, selbst aussuchen. Als guter und begeisterter Reiter entschied er sich fuer die Kavallerie, eine als snobistisch verrufene Truppe, der meist Soehne vermoegender aristokratischer Familien angehoerte. Robert Baden-Powell war einer der wenigen unter ihnen, die keinen aristokratischen Namen trugen (zum Lord geadelt wurde er erst 1929) und die auch nicht von zu Hause mit Familiengeldern grosszuegig unterstuetzt werden konnten. Er war auf seinen Sold angewiesen. Und das war wenig. Als er mit dem 13.Husarenregiment in Indien eingesetzt wurde, fiel er dadurch auf, dass er nicht wie die anderen Offiziere sinnlos Geld verschwendete, sondern sich sogar seinen mageren Soldatensold aufbesserte, indem er Artikel fuer Zeitungen schrieb und illustrierte. Wenn seine von Langeweile geplagten Kameraden aus vermoegenden Familien in Bars sassen, Whisky tranken, Zeitschriften lasen und rauchten, vergnuegte er sich in der freien Natur. „Am liebsten“, schrieb sein Freund E.E. Reynolds, „schlich er sich in den Dschungel. Dort lag er regungslos und beobachtete die wilden Tiere, wie sie zur Traenke zogen – den Hirsch, den Schakal, den Eber und den Baeren.“

Bei seinen Kameraden war er sehr beliebt. Vor allen Dingen zeigte sich seine Begabung, die gelangweilten Militaers zu unterhalten: er sang im Offizierskasino, arrangierte Theaterauffuehrungen, schrieb die Stuecke und die Lieder selbst und brachte so Leben in die Bude. Dadurch wurde er weithin bekannt. Ueberall erzaehlte man sich von den vielfaeltigen Begabungen des jungen Offiziers, der allgemein mit den Initialen seines Namen B.P. (englisch ausgesprochen: Bi Pi) genannt wurde. Seine Talente kamen auch den Vorgesetzten zu Ohren. Sie waren von Baden- Powell begeistert: ein Mann wie er, der es einerseits verstand, andere Soldaten bei Laune zu halten und von Langweile zu befreien – der andererseits die Wildnis wie seine Hosentasche kannte und die Geheimnisse der Natur zu entschluesseln imstande war, bot sich fuer besondere Fuehrungsaufgaben geradezu an. Die Armeeleitung uebertrug ihm daher die Ausbildung der Scouts, der Pfadfinder, die nicht im offenen Kampf eingesetzt wurden, sondern das gegnerische Lager auskundschaften mussten, mit List und Lautlosigkeit nach Art nordamerikanischer Indianer und Trapper.

Bei der Ausbildung dieser Scouts hielt sich Baden-Powell nicht an herkoemliche Methoden, er legte keinen Wert auf Drill, sondern versuchte seine Schuetzlinge fuer ihre Aufgabe zu begeistern, indem er ihnen Sinn und Zweck ihrer Taetigkeit erklaerte oder ihnen spielerisch beibrachte, was sie wissen mussten. Baden-Powell gab keine strikten Anordnungen, sondern nur Tips und Anregungen, die seine Leute befaehigten, an der Loesung eines Problems mitzuarbeiten, selbstaendig zu denken und in eigener Verantwortlichkeit zu handeln. Er hielt keine langen Vortraege ueber eigene Erfahrungen, er steuerte seine Schuetzlinge so, dass sie aus eigenen Erfahrungen lernten. – „Learning by doing“ nannte er dieses System: „Lernen durch Tun“.

Bei kriegerischen Einsaetzen organisierte er seine Kundschafter zu Faehnlein von etwa fuenf Mann, angefuehrt von einem besonders bewaehrten und vorbildlichen Soldaten. Dieser Venner bekam einen bestimmten Auftrag und hatte bei der Ausfuehrung freie Hand. Die gegenseitige Hilfsbereitschaft war den von ihm ausgebildeten Soldaten so selbstverstaendlich geworden, dass sie sich auch im Ernstfall, bei groesster Gefahr, bedingungslos aufeinander verlassen konnten. Vor allen Dingen aber machte Baden-Powell seinen Schuetzlingen alles selbst vor, ohne Strapazen oder Gefahren zu scheuen. Als Beispielsweise die Maenner einer Patrouille von einem Kundschafterunternehmen erfolglos zurueckkehrten, mit der Begruendung, es sei unmoeglich, nachts die enge Postenkette des aufmerksamen Gegners unbeobachtet zu durchschleichen – da versuchte es Baden-Powell selbst. Er schlaengelte sich nachts im Gras zwischen den feindlichen Wachtposten durch, drang weit ins Gebiet des Gegners ein, kundschaftete wichtige Einzelheiten aus und kehrte ungeschoren zurueck. Zum Beweis, dass er tatsaechlich im Lager des Feindes gewesen war, hatte er dort seinen Handschuh in einem Gebuesch verborgen. Als das Gebiet spaeter erobert wurde, lag der Handschuh immer noch an der Stelle. Baden-Powell ueberzeugte – und fuehrte -, indem er selbst ein Vorbild gab.

Wir erkennen hier schon die Grundprinzipien des spaeter gegruendeteten Pfadfindersystems. Allerdings: die Methode, die Baden-Powell damals in Indien als junger Offizier, als Ausbildner und Anfuehrer der Scouts erdachte und in die Praxis umsetzte, war fuer Erwachsene vorgesehen, fuer Soldaten, zum Zweck einer siegreichen Kriegsfuehrung. Insofern standen seine damaligen Bestrebungen freilich im krassen Gegensatz zu der spaeteren Pfadfinderbewegung, die nach seinem Willen ausdruecklich dem Frieden dienen sollte.

Erst durch andere Erlebnisse fuehlte sich Baden-Powell ploetzlich berufen, seine Erfahrungen als Offizier und seine Ausbildungsmethoden fuer Soldaten im Interesse der Jugenderziehung voellig neu zu ueberdenken. Und das kam so: Nachdem Baden-Powell in Indien, Afghanistan und Malta eingesetzt worden war, erhielt er 1897 – inzwischen zum Hauptmann befoerdert – den Auftrag, in Suedafrika eine Expedition als Vergeltungsschlag gegen den Ashanti-Haeuptling Pempreh zu unternehmen. Pemreh war ein Urwaldfuerst grausamster Praegung, der nicht nur gegen die englische Kolonialherrschaft rebellierte, sondern auch Mitglieder seines eigenen Volkes als Slaven verkaufte oder als Menschenopfer bei rituellen Handlungen hinschlachten liess.

Dort, auf der Faehrte des fluechtenden Pempreh, lernte Baden-Powell von befreundeten Eingeborenen ihre besondere, selbst ihm zum Teil noch unbekannte Methode der Jagd, des Spurenlesens, der Orientierung, der Urwaldmedizin und aehnlicher Waldlaeuferkuenste. Dabei vervollkommnete er seine eigenen Erfahrungen, und bald schon war er im Dschungel geschickter als seine eingeborenen Lehrmeister, die ihm den ehrenvollen Namen „Impeesa“ gaben: „Der Wolf, der nie schlaeft.“ Waehrend er tagsueber den blutruenstigen Haeuptling jagte, schrieb er nachts am Lagerfeuer sein Buch „Aids for Scouting“ (woertlich: „Hilfen zum Pfadfinden“), in dem er kurz und buendig zusammenfasste, was er in Indien und Afrika an Waldlaeufergeheimnissen gelernt hatte. Als das Manuskript 1987 fertig war, gelang es Baden-Powell endlich, den Ashanti-Haeuptling Pempreh gefangenzunehmen, doch er liess ihn nicht hinrichten, Blutvergiessen war Baden-Powell ein Greuel. Der Haeuptling zog ins Exil – und wurde ein Freund und Verehrer des Mannes, der ihn ueberwunden hatte. Als Baden-Powell seine Pfadfinderbewegung fuer Jugendliche gruendete, war Pemreh einer der ersten afrikanischen Pfadfinderfuehrer! Doch ich greife voraus. Noch aber dachte Baden-Powell nicht an eine Jugendbewegung. Noch schreiben wir das Jahr 1896. Baden-Powell, inzwischen zum Obersten befoerdert, kam im Anschluss an sein afrikanisches Abenteuer nach Indien, wo er das Kommando fuer eine Kavalleriedivision uebernahm. Von dort aus sandte er das Manuskript seines Buches „Aids for Scouting“ nach England zu einem Verleger. Als es 1899 erschien, ein duennes Baendchen, empfahl es der englische Generalstab als allgemeine Ausbildungslektuere fuer Offiziere. Im selben Jahre brach der Burenkrieg aus. Buren – der Name kommt aus dem Niederlaendischen und bedeutet „Bauern“ – sind die Nachkommen der Hollaender, Niederdeutschen und Hugenotten, die in Suedafrika den Oranjefreistaat, Natal und Transvaal gruendeten. Dort gerieten sie mit den Englaendern, die gewisse Gebiete Suedafrikas kolonisieren wollten, in einen Interessenkonflikt. Es kam zum Krieg.
Baden-Powell wurde unverzueglich, im Juli 1899, von Indien abkommandiert und im Burenkrieg eingesetzt, damit er dort, in Afrika, seine bei der Verfolgung des Haeuptlings Pempreh gewonnenen Erfahrungen von Land und Leuten, Tieren und Wildnis einsetzte. Er bekam den Auftrag, in Mafeking, einer kleinen Frontstadt, britische Soldaten fuer den Dschungelkampf auszubilden. Doch die Buren erfuhren bald, dass der inzwischen schon bekannte und beruehmt gewordene Afrika-Experte Oberst Baden-Powell in Mafeking war, und am 11. Oktober umzingelte der Burengeneral Cronje mit 9000 Mann die Stadt, um ihn gefangenzunehmen. Der „Wolf, der nie schlaeft“ sass in der Falle. Er schien verloren. Die Uebermacht der Angreifer war rund zehnfach. Innerhalb der Stadtmauern von Mafeking befanden sich ausser Frauen, Kindern und Jugendlichen nur 700 ausgebildete Soldaten und etwa 300 Zivilisten, meist aeltere Maenner, die mit Gewehren einigermassen umgehen konnten und nur bedingt einsatzfaehig waren. Baden-Powell war trotz allem entschlossen, die Stadt zu verteidigen. Als ein Offizier der Buren mit weisser Fahne in die Stadt ritt und die Besatzung zur Uebergabe aufforderte, zog Oberst Baden-Powell gelangweilt die Augenbrauen hoch. „Warum?“ fragte er nur. Der Offizier stutzte ueber diese einsilbige Antwort und zog wieder ab.

General Cronje schuettelte ueber das Selbstbewusstsein des Stadtkommandanten den Kopf. Er glaubte, dass Baden-Powell keine Chance habe. Fuer Cronje war die Eroberung von Mafeking nur noch eine Frage von Tagen. Doch er hatte sich geirrt. Baden-Powell verteidigte die Stadt nicht mit Gewalt, sondern mit List. Er taeuschte den Buren eine viel groessere Zahl an Verteidigern und unbegrenzte Mengen von Munition vor, indem er Strohpuppen auf Schuetzenwaelle legte, geschnitze Holzgewehre ueber Schiessscharten hinausragen liess und mit leeren Konservendosen Attrappen von Geschuetzen aufbaute. Die bewaffneten Truppen liess er blitzschnell die Stellung wechseln, mal hier mal dort Gewehrsalven abfeuern, so dass die Buren glauben mussten, die Stadt trotze vor Verteidigern. Sie wagten nicht anzugreifen. Um die Soldaten fuer den Ernstfall staendig bereit zu haben, rekrutierte Baden- Powell aus den Jungen der Stadt eine Truppe fuer leichtere militaerische Aufgaben: Sie wurden als Sanitaeter, als Meldegaenger und fuer Spaehtrupps eingesetzt. Dabei stellte Baden-Powell zu seiner Verblueffung fest, dass die Jungen durchaus faehig waren, Verantwortung zu uebernehmen, Gefahren zu bestehen und Strapazen zu ertragen – wenn man ihnen nur Vetrauen schenkte und ihnen freie Hand liess fuer selbststaendige, improvisierte Entscheidungen. Diese Erkenntnis war revolutionierend, damals, zur Zeit der Jahrhundertwende, als Paedagogen den Jugendlichen ueberhaupt nichts zutrauten und glaubten, man muesse Jungen und Maedchen mit puritanischer Strenge jeden Handgriff vorschreiben. Dass heutzutage Lehrer und andere Erzieher die Jungendlichen als ernst zu nehmende Partner behandeln, denen man eine Menge zutrauen kann, ist nicht zuletzt Baden-Powell zu verdanken. Er war der erste, der diese bahnbrechende paedagogische Entwicklung ausgeloest hatte – auf Grund seiner Erfahrungen mit den Jungen vonMafeking. Mit Hilfe dieser Jungen war es ihm damals denn auch gelungen, die Stadt Mafeking genau 217 Tage lang zu verteidigen, bis sie schliesslich von einem Einsatzkommando britischer Kavallerie im Mai 1900 befreit wurde. Als Baden-Powell 1901 auf koeniglichen Befehl nach England zurueckgekehrte, um zum General befoerdert und mit dem Kreuz des Bath-Ordens ausgezeichnet zu werden – da schlug ihm schon bei seiner Ankunft in der Heimat eine Welle der Begeisterung entgegen. Fassungslos stellte er fest, dass er – ohne es zu wollen – ein Nationalheld geworden war, ein Idol der Jugend! Denn ohne sein Wissen hatten englische Zeitungsreporter von der Belagerung Mafekings berichtet, Tag fuer Tag. Ganz England hatte den spannenden Kampf um Mafeking atemlos verfolgt. Besonders die Jungen waren begeistert von Baden-Powell. Waehrend er noch in Mafeking eingeschlossen gewesen war, hatten sie in England sein Buch „Aids for Scouting“ gekauft – und nun lasen sie zu Tausenden die Waldlaeufergeheimnisse ihres Idols. „Aids for Scouting“ war ein Jugendbuch-Bestseller geworden!

Das aber schien Baden-Powell sehr bedenklich zu sein. Denn „Aids for Scouting“ war ein militaerisches Buch, eine Lektuere fuer den dienstlichen Gebrauch von Offizieren und Soldaten. Als Mann, der den Frieden liebte, wollte er nicht, dass ein derartiges Buch in die Haende der Jungen kam. Doch die Entwicklung liess sich weder rueckgaengig machen noch aufhalten. Ein Verbot haette nichts mehr genuetzt. Ausserdem war Baden-Powell gegen Verbote, wenn sie nicht unbedingt notwendig waren. Was nun tun? Es gab nur eine Moeglichkeit: Baden-Powell beschloss ein zweites Scouting-Buch zu schreiben, eines fuer die Jugend, in dem er die revolutionierenden paedagogischen Erkenntnisse von Mafeking mit den Waldlaeufergeheimnissen seines abenteuerlichen Dschungellebens verarbeitete. Es sollte ein umfrangreiches Werk werden, das er nur schreiben konnte, wenn er viel Zeit hatte.

Doch so schnell liess sich sein Plan nicht verwirklichen. Seine beruflichen Verpflichtungen als Offizier nahmen ihn voll in Anspruch. Er erhielt den Auftrag, die in Englands Diensten stehende berittende Schutzpolizei Suedafrikas zu gruenden und auszubilden. Damals, in Suedafrika, las Baden-Powell ein soeben erst erschienenes Buch, von dem er zusaetzliche Anregungen fuer seine spaeter gegruendete Pfadfinderbewegung empfing. Das Buch hiess „Kim“ und stammte aus der Feder des beruehmten englischen Dichters Rudyard Kipling. Baden-Powell und Kipling waren von Indien her gut befreundet. Kipling erzaehlt in diesem Buch die Geschichte eines Jungen namens Kim (Kimball O´Hara), Sohn eines Unteroffiziers, der einem in Indien stationierten irischem Regiment angehoerte.

Als die Eltern starben, kam Kim zu einer armen Tante. Dort wuchs er zusammen mit Eingeborenenkindern auf. Er gewann frueh an Selbstaendigkeit. Spaeter reiste er mit einem tibetischen Wanderpriester durch ganz Nordindien. Dabei lernte er in Einoede und Dschungel die Gefahren der Wildnis zu meistern. Im weiteren Verlauf der Geschichte stiess Kim auf den Juwelier Lurgan, der es sich zur Aufgabe machte, Kims Verstand mit verschiedenen Spielen zu schulen: Unter anderem zeigte er ihm ein Brett, auf dem wertvolle Steine verschiedener Groesse und Farbe lagen. Dann deckte er die Steine zu, und Kim musste sie aus dem Gedaechtnis aufzaehlen. Durch staendiges, spielerisches Training wurde die Beobachtungsgabe und das Gedaechtnis von Kim so geschaerft, dass er sich schliesslich jede beliebige Menge von verschiedenartigen Steinen einpraegen konnte. Mit solcherlei Faehigkeiten erwies sich Kim spaeter als nuetzlicher Kundschafter fuer das Regiment und fuers Vaterland. Dabei erlebte er viele Abenteuer, teils gefaehrlichster Art, die er jedoch alle trotz seiner jungen Jahre gluecklich ueberstand, weil er gewohnt war, fuer sich selbst verantwortlich zu sein, selbstaendig zu handeln, und weil seine Beobachtungsgabe, seine Klugheit und Findigkeit durch Spiele geschult waren. Baden-Powell war von diesem Buch tief beeindruckt. Erstens fuehlte er seine bei der Verteidigung von Mafeking gemachten Erfahrungen bestaetigt, dass Jungen durchaus Pflichten von Erwachsenen erfuellen konnten, wenn man ihnen das entsprechende Vetrauen schenkte – und zweitens erkannte er, dass sich nuetzliche Faehigkeiten am besten durchs Spiel schulen liessen. Er nahm sich vor, sinnvoll gestaltete Spiele als wichtige Erziehungsmethode in seinem geplanten Buch „Scouting for Boys“ zu empfehlen. Baden-Powell brannte darauf, dieses Jugendbuch zu schreiben, doch noch war er damit beschaeftigt, die neugegruendete Schutzpolizei Suedafrikas auszubilden. Wie immer leistete er ganze Arbeit, und schon bald waren die berittenen Polizisten eine weithin beruehmte Elitetruppe. Sie trugen einen breitrandigen Filzhut, Halstuch und Khakihemd – die spaetere Tracht der Pfadfinder. Als er die Truppe aufgebaut hatte, glaubte er Zeit zu haben, endlich „Scouting for Boys“ schreiben zu koennen, doch da wurde er nach England berufen und 1903 zum Generalinspekteur der gesamten britischen Kavallerie ernannt, mit dem besonderen Befehl, diese berittene Truppe neu zu organisieren. Die Aufgabe hielt ihn voellig gefangen. Er war staendig auf Reisen, von Garnison zu Garnison, und wieder fehlte ihm die Musse, ein so umfangreiches Werk wie „Scouting for Boys“ zu verfassen. Erst als die Kavallerie seinen Vorstellungen von einer modern organisierten Waffengattung entsprach, konnte er sich wieder seinem liebsten Thema, der Jugenderziehung, zuwenden.

Bevor er zur Feder griff, um das Buch endlich zu schreiben, wollte er persoenliche Erfahrungen sammeln. Zu diesem Zweck trommelte er im Jahre 1907 insgesamt 22 Jungen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten zusammen: Die Soehne von adeligen Kavallerieoffizieren und von Pferdepflegern, von Millionaeren und einfachen Arbeitern. Mit diesen zweiundzwanzig Jungen ruderte er vom Hafen der englischen Stadt Poole hinueber auf Brownsea Island, eine kleine, zur Grafschaft Dorset gehoerende Insel.

Dort schlug er seine Zelte auf. Die alte Fahne von Mafeking, nach sieben Jahren schon historisch geworden, hatte er vorher aus dem Militaermuseum geholt. Nun flatterte sie am Fahnenmast inmitten des Zeltplatzes. Wenn man liest, was Baden-Powell ueber das Lager auf Brownsea Island spaeter schrieb, stellt man fest, dass es sich in nichts von den Pfadfinderlagern unserer heutigen Zeit unterschied. „Der Stamm der Jungen“, so berichtete Baden-Powell,“wurde aufgeteilt in Faehnlein zu fuenf Mann. Der Aelteste wurde Venner. Diese Einteilung in kleine Gruppen war das Geheimnis unseres Erfolges. Jedem Venner wurde volle Verantwortung fuer das Verhalten seiner Leute uebertragen, und zwar fuer die ganze Z

it des Lagers. Das Faehnlein war eine Einheit fuer Ausbildung, Arbeit und Spiel. Die Jungen wurden bei ihrer Ehre verpflichtet, die angeordneten Dinge auch auszufuehren. Verantwortlichkeit und gesunde Rivalitaet wurden auf diese Weise geweckt. Eine gute, grundlegende Ausbildung erfolgte jeden Tag fuer den ganzen Stamm, und so wurde der gesamte Stamm fortschreitend in den Dingen des Pfadfindertums geuebt.“

Auf das Gehorsamsprinzip konnte und wollte er dabei nicht verzichten. Er legte aber Wert darauf, dass die Jungen ihm freiwillig folgten, ohne Zwang und ohne Strafe, nur auf Grund seiner Ueberzeugungskraft, seines guten Beispiels und seiner Persoenlichkeit. So sollte es auch spaeter bleiben, bei anderen Pfadfinderfuehrern, auch wenn sie nicht den Nimbus des legendaer gewordenen Generals haben konnten. Die Beruehmtheit, die Baden-Powell im Krieg und als Vertreter des klassenbewussten Offiziersstandes erworben hatte, war seiner friedlichen Idee einer klassenlosen Jugenderziehung foerderlich. In ganz England sprach sich herum, dass der „Held von Mafeking“ ein Jugendlager veranstaltet hatte, in dem kein erzieherischer Zwang ausgeuebt worden war.

Nicht alle standen auf seiner Seite. Einige wenige waren gegen ihn, gewisse Snobs, denen es unfassbar schien, dass beispielsweise der Sohn eines Ministers und der Sohn eines Pfoertners zusammen auf einem Zeltlager waren und Wuerstchen assen, die sie gemeinsam ueber demselben Feuer gegrillt hatten. Ansonsten aber zeigten sich die meisten Englaender von Baden-Powells neuer Form der Jugenderziehung begeistert. Unter seinen vielen Anhaengern war auch der Londoner Verleger Pearson, der eine Jugendzeitung mit dem Titel „The Scout“ (Der Pfadfinder) zu gruenden versprach, wenn sich Baden-Powell verpflichtete, dafuer Artikel zu schreiben. Der General sagte zu. Er hatte nun seine eigentliche Berufung erkannt und wollte von der kriegerischen Taetigkeit eines Offiziers nichts mehr wissen. Es gelang ihm auch, Koenig Eduard VII. von dem Sinn der Pfadfinderei zu ueberzeugen. Und schliesslich stimmte der Koenig zu, dass Baden- Powell auf eigenen Wunsch pensioniert werde, um sich ganz seiner neuen Aufgabe widmen zu koennen. Der General wurde Jugendfuehrer. In seinem fuenfzigsten Lebensjahr. Er mietete einen ruhigen, mit dunklem Eichenholz getaefelten Raum in der Windmuehle von Wimbledon Common in London, wo er ungestoert arbeiten konnte. Dort verwirklichte er endlich seinen Plan, ein Pfadfinderbuch fuer die Jugend zu schreiben: „Scouting for Boys“. Es erschien als Serie, Kapitel fuer Kapitel, in der Zeitschrift „The Scout“. Es sollte spaeter in alle Kultursprachen der Erde uebersetzt und das groesste paedagogische Werk unseres Jahrhunderts werden.

Wieso kam es zu diesem Erfolg ?

Vor allen Dingen deshalb, weil „Scouting for Boys“ keine der damals ueblichen schwerverstaendlichen Abhandlungen paedagogischer Theoretiker war, sondern das leicht lesbare Jugendbuch eines klugen Praktikers. Im Stil einer Plauderei am Lagerfeuer, behaglich und spannend, erzaehlte Baden-Powell darin von seinen Abenteuern in Steppe und Dschungel, in Indien und Afrika. Er berichtete von Waldlaeuferkenntnissen, die ihn befaehigt hatten, in der Wildnis zu ueberleben und gefaehrlichen Situationen zu entkommen. Seine Leser erfuhren von ihm, wie man Feuer ohne Streichhoelzer macht, Entfernungen schaetzt, Faehrten von Tieren und Menschen deutet und verfolgt, wie man Knoten bindet, Behelfsbruecken baut, die Himmelsrichtungen ohne Kompass ermittelt und Erste Hilfe leistet. Er regte die Jungen an, diese Waldlaeuferkenntnisse praktisch anzuwenden, bei Wettkaempfen oder Spielen, bei Wanderungen und Zeltlagern. Ausserdem empfahl er seinen jungen Lesern, sich zu kleinen Gruppen zusammenzuschliessen, ein Totemtier als Vorbild zu waehlen wie die Indianer, ein Logbuch zu fuehren wie die Steuermaenner der Schiffe, ein Versprechen abzulegen wie die Ritter beim Ritterschlag, ein eigenes Gesetz anzuerkennen, taeglich eine gute Tat zu tun und immer hilfsbereit zu sein.

Ja, ich weiss – jetzt werden Kritiker des Pfadfindertums fragen: Ist das alles? Was hat es denn fuer einen erzieherischen Sinn, einen Jugendlichen zu lehren, wie er Feuer ohne Steichhoelzer macht und wie er im Wald einer Faehrte folgt? Das ist doch Indianerspielerei und keine wissenschaftliche Paedagogik! Und das Gerede von Hilfsbereitschaft, schoen und gut, aber… Was sagt den Baden-Powell ueber paedagogisches Psychogramm und psychologische Persoenlichkeitsentwicklung, ueber den motivationsgesteuerten Zuwachs an Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefuehl?

Nun, Baden-Powell schrieb in der Tat nicht viel ueber psychologische Persoenlichkeitsentwicklung, Motivationssteuerung und aehnliche Schlagworte – aber er gab Tips, wie Jungen spielerisch, ohne es zu merken, diese Ziele erreichten. Die Hilfsbereitschaft beispielsweise, das hat er bald erkannt, ist nicht nur eine Wohltat fuer denjenigen, dem sie gilt – sie formt auch die Persoenlichkeit desjenigen, der sie uebt. Sie hat einen sehr praktischen paedagogischen Wert. Und was die Waldlaeufergeheimnisse anlangt, so haben sich bereits Universitaetsprofessoren, Paedagogen und Psychologen damit beschaeftigt, sie haben bedeutende Studien oder Doktorarbeiten darueber geschrieben und den tieferen Sinn in allen Einzelheiten herausgefunden: Wer beispielsweise als Jugendlicher ohne Kompass wandert und staendig auf alle natuerlichen Anzeichen der Orientierung achten muss, um sich nicht zu verirren, der wird sicherlich auch spaeter, als Erwachsener, in seinem beruflichen und privaten Leben gewohnheitsmaessig die richtige Linie seines menschlichen Verhaltens kontrollieren und nicht auf Abwege geraten. Wer als Jugendleiter – so argumentieren die Psychologen weiter – bei den Pfadfindern Entferungen messen gelernt hat, um beispielsweise zu wissen, ob er mit seiner Kraeften das Ziel einer Wanderung in einem Tag schafft oder etappenweise marschieren muss – der wird auch spaeter das Ziel einer beruflichen Aufgabe mit den eigenen Faehigkeiten in Einklang bringen. Das Entfernugsmessen also foerdert – psychologisch gesehen – die Selbstkritik, praegt das gesunde Selbstbewusstsein und verhindert gefaehrliche Selbstueberschaetzung.

Doch ehe ich nun selbst beginne, Baden- Powells Pfadfinderidee theoretisch zu zerpfluecken, kehren wir lieber zurueck zu „Scouting for Boys“. Lesen wir, wie einfach Baden-Powell sich ausdrueckt, wenn er ueber das Leben in der Natur schreibt: „Das Lager ist ein sehr erfreulicher Teil im Leben eines Pfadfinders. In Gottes freier Natur leben, zwischen Huegeln und Baeumen, den Voegeln und Tieren, den Meeren und Fluessen – das ist mit der Natur leben, sein eigenes kleines Zelt haben, selbst kochen und entdecken. Das alles gibt Gesundheit und Glueck, wie es man es niemals zwischen den Backsteinen und dem Rauch der Stadt findet.“ Ein anderes Zitat von Baden-Powell: „Auch eine Wanderung, bei der man weit herumkommt, jeden Tag neue Orte entdeckt, ist ein herrliches Abenteuer. Sie staerkt und haertet dich ab, so dass dir Wind und Regen, Hitze und Kaelte nichts ausmachen. Du nimmst alles, wie´s kommt, und fuehlst dabei dieses Gefuehl von Fitness, dass dich befaehigt, jeder Schwierigkeit mit einem Laecheln ins Gesicht zu sehen, wohl wissend, dass du am Ende siegen wirst.“

An anderer Stelle schreibt er: „Die Pfadfinderei ist ein vortreffliches Spiel, wenn wir unsere ganze Kraft hineinlegen und es richtig und mit echter Begeisterung anpacken. Wenn wir es so spielen, so werden wir, genau wie bei anderen Spielen, merken, dass wir dabei Kraft gewinnen an Koerper, Geist und Seele.“

Ueber die Pfadfindergesetze aeusserte sich Baden-Powell: „Es hat nicht den geringsten Wert, die Pfadfindergesetze jemanden einzutrichtern oder als Befehle auszugeben. Jeder braucht seine eigene Auslegung der Gesetze und das Verlangen, sie zu befolgen.“ Fuer den Venner schrieb Baden-Powell unter anderem: „Wenn der Pfadfinder verstehen gelernt hat, was seine Ehre ist, kannst du als Venner ihm voll vertrauen, dass er seine Sache gut macht. Uebetrage ihm eine Aufgabe, ganz gleich, ob fuer kurze Zeit oder dauernd, und erwarte von ihm, dass er seine Sache nach bestem Wissen erledigt. Schueffle nicht, um zu sehen, wie er sie macht. Lass sie ihn auf seine eigene Art durchfuehren, lass ihn, wenn noetig, dabei stoehnen, aber in jedem Fall lass ihn allein und vetraue ihm, dass er sein Bestes tun wird.“

Derlei Saetze, damals in „The Scout“ veroeffentlicht, wirkten wie Trompetenstoesse in der verstaubten Paedagogik der Jahrhundertwende. hrer und Erzieher reagierten zum Teil verstoert, zum Teil mit interessierter Aufmerksamkeit und Zustimmung. Die Jungen aber schlossen sich mit Begeisterung der Pfadfinderbewegung an. Ueberall in England gruendeten sie kleine Gruppen mit selbstgewaehlten Vennern, sie spielten und arbeiteten nach den Empfehlungen der monatlich erscheinenden Zeitschriftserie von Baden-Powell, und sie ueberredeten Erwachsene, die Oberleitung von mehreren Faehnlein zu uebernehmen. Von selbst ergab sich fuer diese Erwachsenen der Name „Scoutmaster“. Im Jahre 1909 unternahm Baden-Powell eine Urlaubsreise nach Suedamerika. In Chile wurde er zu seinem Erstaunen von Pfadfindern empfangen, deren Existenz selbst ihm unbekannt war, von Jungen in Khakihemden, mit Halstuch, breitrandigem Hut und Lilienemblem. Sie waren entsprechend seinen Empfehlungen organisiert und handelten danach. Auf seine verdutzten Fragen erklaerten sie ihm, dass sie sich die Zeitschrift „The Scout“ ueber den Ozean hatten schicken lassen. Baden-Powell nahm ihnen offiziell das Pfadfinderversprechen ab und erklaerte ihre Gruppe zur ersten auslaendischen Pfadfinderorganisation.

Der erste Pfadfinder-Auslandsbesuch fiel ebenfalls ins Jahr 1909, als zwei englische Faehnlein durch Deutschland wanderten und ueberall auf junge Menschen stiessen, die von der Pfadfinderidee begeistert waren und eigene Faehnlein gruenden wollten. Damals erkannte Baden-Powell, dass er mit seiner Jugendbewegung voll ins Schwarze getroffen hatte und dass die Moeglichkeit bestand, das

Pfadfindertum ueber die ganze Welt zu verbreiten. Ihm schwebte eine grosse Bruderschaft vor, aehnlich der Bruderschaft verbuenderter Ritter des Mittelalters. Eine Bruderschaft fuer friedliche Zwecke jedoch, ohne Trennung durch Gesellschaftsklassen, Rassen, Nationalitaeten oder Religionsgemeinschaft.

Die Ritterlichkeit war fuer Baden-Powell eine besonders wertvolle Charaktereigenschaft, und deshalb wurde er nicht muede, in persoenlichen Gespraechen und in seinen Schriften die Ritter als Vorbild hinzustellen. „Die alten Ritter“, so schrieb er unter anderem, „waren sehr religioes und immer darauf bedacht, am Gottesdienst teilzunehmen, besonders vor dem Kapf oder vor irgendeiner schwierigen Aufgabe. Sie verehrten Gott nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Natur und in seinen Geschoepfen, in den Tieren und Pflanzen. – So soll es auch der Pfadfinder halten: Er soll die Wunder der Natur lieben und Gott darin erblicken. Den Gott seiner Religionsgemeinschaft. Keiner taugt viel, der nicht an Gott glaubt. Jeder Pfadfinder soll daher einer Religionsgemeinschaft angehoeren.“ Ritterlichkeit und Treue zu Gott – diese beide Tugenden fand Baden-Powell in einer legendaeren Gestalt vereint: im Ritter St.Georg, den er 1909 offiziell zum Schutzpatron der Pfadfinder erklaerte, „weil er unter den Heiligen der einzige Ritter war.“

 

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Im selben Jahr gab es noch eine ganze Reihe pfadfinderischer Aktivitaeten:

Baden-Powell hielt zwei Lager und ein Pfadfindertreffen im Londoner Kristallpalast mit 11000 Teilnehmern ab. Dort sah er unter den vielen Boy Scouts ploetzlich eine Schar von Maedchen, die ebenfalls die Pfadfindertracht trugen. Sie kamen auf ihn zu und sagten: „Wir sind Girl Scouts, Mister Baden-Powell.“ Der General war begeistert, dass sich seiner urspruenglich nur fuer Jungen gedachten Organisation nun auch Maedchen anschliessen wollten, und er ging sofort daran, Gruppen von Pfadfinderinnen zu gruenden.

Die heute teilweise schon uebliche „Koedukation“, also die Gemeinschaftserziehung von Jungen und Maedchen, war damals noch undenkbar. Deshalb entstand eine von den Boy-Scouts streng getrennte, eigene Organisation weiblicher Pfadfinder,die von Baden-Powell „Girl Guides“ genannt wurde (guide = Fuehrer im Sinne von ortskundigem Begleiter). Einige Maedchengruppen aber behielten den Namen „Girl Scouts“ trotzdem bei. (Und deshalb hiess die spaeter gegruendete Pfadfinderinnen-Weltorganisation schliesslich „World Association for Girl Guides and Girl Scouts“, kurz WAGGGS.) Baden-Powell entschloss sich damals, sein Buch „Scouting for Boys“ fuer die Interessen der Maedchen umzuschreiben. Allerdings konnte er sich als Mann nicht so recht auf die Pfadfinderinnen einstellen, und die Girl Guides hingen am Anfang ohne zentrale Fuehrung etwas in der Luft.

Das aenderte sich, als Baden-Powell im Jahre 1912 gelegentlich einer grossen Weltreise auf dem Schiff die damals 22 jaehrige Olave St.Clair kennenlernte und kurz darauf heiratete. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Olave begeisterte sich fuer die Pfadfinderidee ihres Mannes und uebernahm im Jahre 1916 die Fuehrung der englischen Girl Guides.

Im selben Jahr kam Baden-Powell zu der Ueberzeugung, dass es sinnvoll sei, die Jugendlichen in zwei Altersgruppen zu teilen: in die „Woelflinge“ (bis zum elften Lebensjahr) und die eigentlichen Pfadfinder, die mindestens zwoelf Jahre alt sein sollten. Beide Gruppen sollten eine getrennte, ihrem Alter gemaesse Ausbildung erhalten.

Seit 1919 gibt es auch eine dritte Altersgruppe: die „Rover“ (vom 19.Lebensjahr an). 1919 bekamen die Pfadfinder von einem schottischen Landedelmann den Gilwellpark bei London als Ausbildungszentrum fuer Scoutmaster geschenkt.

Die ersten Pfadfinderfuehrer, die dort einen Lehrgang erfolgreich abschlossen, erhielten eine sonderbare Auszeichnung: zwei Holzstueckchen, die sie an einer Lederschnur um den Hals tragen durften. Sie stammten von einer aus vielen Holzstuecken bestehenden Halskette, die der Zulu-Haeuptling Dinzulu dem General seinerzeit in Afrika geschenkt hatte. Die Originalhoelzchen der Haeuptlingskette waren natuerlich schnell verbraucht, aber es buergerte sich ein, dass Pfadfinderfuehrer in jedem Land bis in unsere Tage nachgemachte Hoelzchen bekommen, wenn sie einen international anerkannten Gruppenleiterlehrgang absolvierten. Diese Lehrgaenge werden nach den Holzabzeichen auch Woodbadge-Ausbildung genannt (wood = Holz, badge = Abzeichen).

Im Jahre 1920 veranstaltete Baden-Powell das erste internationale Pfadfindetreffen (Jamboree) in London, wo in der Olympia Hall 8000 Pfadfinder aus 27 Laender zusammenkamen. Bei dieser Gelegenheit wurde er zum ersten und einzigen „Chief Scout of the World“ (oberster Weltpfadfinderfuehrer) ausgerufen.

1922 entstand das zwoelfkoepfige Weltkomitee, die Weltkonferenz und das internationale Buero. Zu diesem Zeitpunkt zaehlte die Pfadfinderbewegung ueber eine Million Mitglieder in 32 Laendern. Die Pfadfinderinnen hatten inzwischen unter der Leitung von Olave Baden-Powell grosse Fortschritte gemacht. Sie erhielten in den Jahren 1922 und 1927 staendige internationale Ausbildungszentren in Foxlease und Waddow Hall, entsprechend dem Gilwellpark der Pfadfinder.

Der Name des Park, Gilwell, wurde 1929 auch Bestandteil des Namens von Baden-Powell, als ihn der Koenig zum Lord adelte. Fortan hiess er: Lord Baden-Powell of Gilwell. Damals war er 72 Jahre alt. Im Jahr darauf wurde Lady Olave Baden-Powell zur „Chief Guide of the World“ ernannt, zur obersten Weltpfadfinderfuehrerin (die sie bis zu ihrem Tode am 26.Juni 1977 blieb). Von 1930 bis 1937 reiste Lord Baden-Powell mit seiner um 33 Jahre juengeren Frau von einem Land zum anderen, um ueberall auf dem Erdball die Pfadfinder und Pfadfinderinnen zu besuchen.

Sein letzter grosser Auftritt war beim Jamboree in Holland, 1937, wo er sich offiziell verabschiedete: „Es ist Zeit fuer mich“, sagte er, „dass ich euch good-bye sage. Ihr wisst, dass viele von uns sich auf dieser Welt nie wieder treffen werden. Ich bin in meinem einundachtzigsten Lebensjahr und naehere mich dem Lebensende. Die meisten von euch aber sind am Beginn des Lebens…“ Danach zog er sich zurueck in sein Haus, das er nahe der Wildnis gebaut hatte, unweit von Nyeri, einer kleinen Stadt im ostafrikanischen Kenia. Dort wurde er gelegentlich besucht von weissen Jaegern, die seinen Rat schaetzten, von Eingeborenenhaeuptlingen, die ihn verehrten, und von Pfadfindern und Pfadfinderinnen, die aus der ganzen Welt kamen.

Als er fuehlte, dass er bald sterben werde, setzte er sich auf die Veranda seines Hauses, wo ihm der Wind den Geruch der afrikanischen Steppe zuwehte, um seinen letzten Brief zu schreiben, seinen Abschiedsbrief an die Boy Scouts und Girl Guides dieser Welt:

Liebe Pfadfinder!

In dem Theaterstueck „Peter Pan“, das Ihr vielleicht kennt, ist der Piratenhaeuptling stets dabei, seine Totenrede abzufassen, aus Furcht, er koenne, wenn seine Todesstunde kaeme, dazu keine Zeit mehr finden. Mir geht es ganz aehnlich. Ich liege zwar noch nicht im Sterben, aber der Tag ist nicht mehr fern. Darum moechte ich noch ein Abschiedswort an Euch richten. Denkt daran, dass es meine letzte Botschaft an Euch ist, und beherzigt sie wohl. Mein Leben war gluecklich, und ich moechte nur wuenschen, dass jeder von euch ebenso gluecklich lebt. Ich glaube, Gott hat uns in diese Welt gestellt, um darin gluecklich zu sein und uns des Lebens zu freuen. Das Glueck ist nicht die Folge von Reichtum oder Erfolg im Beruf und noch weniger von Nachsicht gegen sich selbst. Ein wichtiger Schritt zum Glueck besteht darin, dass Ihr Euch nuetzlich erweist und des Lebens froh werdet, wenn Ihr einmal Maenner sein werdet.

Das Studium der Natur wird Euch all die Schoenheiten und Wunder zeigen, mit denen Gott die Welt ausgestattet hat, Euch zur Freude. Seid zufrieden mit dem, was Euch gegeben ist, und macht davon den bestmoeglichen Gebrauch. Trachtet danach, jeder Sache eine gute Seite abzugewinnen. Das eigentliche Glueck aber findet Ihr darin, dass Ihr andere gluecklich macht. Versucht, die Welt ein bisschen besser zurueckzulassen, als Ihr sie vorgefunden habt. Wenn dann Euer Leben zu Ende geht, moegt Ihr ruhig sterben im Bewusstsein, Eure Zeit nicht vergeudet, sondern immer Euer Bestes getan zu haben.

Seid in diesem Sinn ´allzeit bereit´, um gluecklich zu leben und gluecklich zu sterben. – Haltet Euch immer an das Pfadfinderversprechen, auch dann, wenn Ihr keine Knaben mehr seid.

Euer Freund
Baden-Powell of Gilwell

Kurze Zeit spaeter, am 8.Januar 1941, schloss er fuer immer seine Augen. Jungen und Maedchen standen in ihrer Pfadfindertracht auf dem Friedhof von Nyeri, sechs Scoutmaster trugen den Sarg. Britische Offiziere salutierten. Dem letzten Wunsch des Verstorbenen entsprechend, wurden keine grossen Reden gehalten, nur ein Trompeter blies den Pfadfinderpfiff.

Auf Baden-Powell Grabstein befindet sich ein Kreis mit einem Punkt darin. Es ist eines der internationalen, nur Pfadfindern bekannten Wegzeichen, mit denen sich die Mitglieder der Bruderschaft ueber alle Sprachbarrieren hinweg verschluesselte Nachrichten geben koennen. Diese Nachricht Baden-Powells heisst:
„Ich habe meine Aufgabe erfuellt und bin nach Hause gegangen.“

Ein Nachwort des Autors

Nach mehreren Monaten ist nun diesen Text endlich komplett. Es hat mich manche Stunde gekostet um es fertig zu stellen. Doch jede Zeile ueber unseren Gruender BiPi hat mich so fasziniert und begeistert, dass ich mich immer wieder an die Arbeit machte um dieses Werk zu vollenden.

Ein grosser Teil der Geschichte, die in diesem Heftchen ueber BiPi erzaehlt wird, wurde von Walter Hansen verfasst, und im Buchclub Ex Libris Zuerich im „Das grosse Pfadfinderbuch“ veroeffentlicht. Dieses Pfadfinderbuch ist ein sehr interessant geschriebenes Werk, und ich kann es jedem angehenden Pfader und Fuehrer uneingeschraenkt empfehlen.

Ich wuensche allen, die sich der Idee von BiPi verpflichet fuehlen, viel Glueck in ihrer wertvollen Arbeit und weitere schoene Stunden im Dienste der Jugend!

Allzeit Bereit
Daniel Saxer (Schweiz)